EIN BESONDERER TRAUM


Kann man sich eine Geschichte schenken? Ein Geschichte so schön wie eine Zirkusnummer? Oder so leicht wie mancher Traum!

War es denn ein schöner Traum?
Ja, es war ein schöner Traum. Und es ist vielleicht auch eine schöne Geschichte.
Die Geschichte beginnt in der Mitte, mittendrin, wie das bei Träumen oft so ist. Die Zuschauer applaudieren weit unter mir, ich kann es hören, anscheinend hat ihnen unsere Nummer gut gefallen. Eine richtige Zirkusnummer eben. Oder haben wir schon mehrere Nummer aufgeführt? Ich weiß es nicht oder ich kann mich nicht erinnern. Aber ich kann mich an die Turnhalle erinnern. Sie ist sehr schmal, quadratisch wie ein Turm und hoch – so hoch, es ist unmöglich, zu sehen, wo sie endet. Und in der Luft dazwischen, zwischen dem Boden und dem himmelweiten Ende eines Turmes oder einer Turnhalle sitzen der Junge und ich auf einem Doppeltrapez. Der Junge über mir schlenkert vergnügt mit seinen langen Beinen. Die Zuschauer unter mir klatschen begeistert in die Hände, es sind nicht viele, ich denke, zwanzig vielleicht, die Gesichter sind von hier oben nicht zu erkennen. Ihre sicherlich erwartungsvollen Gesichter, die aufgeregten, die gespannten Gesichter. Es geht um unser letztes Kunststück, um die letzte Nummer unserer Vorstellung. Ich tauche in die Luft - auf den Jungen zu. Er schwingt sich durch die Luft – mir entgegen. Schaukel Bein und Schaukel Hand. Und die Luft zwischen uns. Es will nicht so recht klappen, merke ich, und schwinge weiter, die Trapeze schwingen, die Schaukeln schwingen, unsere Körper schwingen. Einer von uns beiden fasst an dem anderen vorbei. Entweder der Junge oder ich.

Hattest du Angst?
Die Frage im Traum, das Kopfschütteln im Traum. Ich weiß, der Junge hat auch keine Angst. Es ist so angenehm, im Traum keine Angst zu haben. Stattdessen zu denken: Was soll's, wir brauchen das letzte Kunststück vielleicht auch nicht, nicht jetzt und nicht unbedingt, sieh da, der Junge hat die Zuschauer ja eh schon verzaubert. Mich auch – übrigens. Sie sehen ihm zu. Ich sehe ihm zu. Die Leichtigkeit eines solchen Traums. Wir können das Kunststück beim nächsten Mal zeigen. Kommt der Gedanke von mir oder von ihm? Der Junge lächelt mir zu und ohne, dass wir es verabreden müssen, ohne geheimes Winken oder Zwinkern, halten wir einfach inne, hören auf, zu schwingen und klettern geschickt auf den Boden zurück – dorthin, wo die Zuschauer warten, und das heißt schon was, geschickt von einem luftigen Trapez herunterzukommen.

Ich weiß, auch die Verbeugung ist nicht leicht.
Der Junge ist eleganter als ich, vielleicht auch erfahrener, wir halten uns an den Händen, er macht einen tiefen Knicks. Standbein, Spielbein. Ich tue es ihm nach, verliere kurz das Gleichgewicht, vielleicht weil ich so stolz auf ihn bin.

Und die Zuschauer applaudieren wieder?
Ja, sie sind ganz hingerissen und gerührt. Wir verbeugen uns und wir verabschieden uns. Der Junge sagt etwas, in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Aber die Zuschauer scheinen ihn zu verstehen, sie klatschen noch mehr und lachen, sie mögen ihn sehr. Ich wüsste so gern, was er gesagt hat. Seine Stimme klang ganz hell. Ich nehme an, er hat sich für den Applaus bedankt.

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